Interview von Dan Kersch im Luxemburger Wort

"Ein Meilenstein der Sozialgesetzgebung"

Interview: Luxemburger Wort (Dani Schumacher)


Luxemburger Wort: Herr Kersch, die CGFP hat im Rahmen ihrer Protestaktion eine Reihe von Forderungen erhoben und droht mit gewerkschaftlichen Aktionen. Vor allem die 80-80-90-Regelung stößt auf Kritik. Können Sie den Unmut der Gewerkschaft nachvollziehen, wären Sie bereit, einzulenken? 

Dan Kersch: Mit ihrer Aktion hat sich die CGFP nicht an die Regierung gewandt. Es war ein Appell an die politischen Parteien. Das erscheint mir logisch, denn die Forderung zur Abschaffung der 80-80-90-Regelung betrifft das Abkommen, auf das sich die CGFP mit der Vorgängerregierung verständigt hatte und das dann in die Reform von 2015 eingeflossen ist. Und dieses Gesetz war vom Parlament mit großer Mehrheit verabschiedet worden. Ich will aber auch betonen, dass es bei einem Gehälterabkommen keine Tabuthemen geben darf. 

Luxemburger Wort: Heißt das, dass Sie bereit sind, über die 80-80-90-Regelung zu verhandeln? 

Dan Kersch: Ja, aber nur im Rahmen der Verhandlungen zu einem neuen Gehälterabkommen. Wie gesagt, im Rahmen von Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern gibt es keine Tabuthemen. Eine Lösung, die 2011 in Krisenzeiten Sinn machte, muss 2017 nicht mehr richtig sein. Ich war nie ein großer Anhänger der 80-80-90-Regelung, weil ich der Meinung bin, dass es falsch ist, wenn man auf Kosten der jungen Menschen spart. 
Bei den Verhandlungen zum Gehälterabkommen vom Dezember 2016 wurde die Maßnahme übrigens zu keinem Zeitpunkt von der CGFP thematisiert. Ich bin daher überrascht, dass die Gewerkschaft die Regelung nur wenige Monate später zum großen Thema hochstilisiert. Das Abkommen läuft bis zum 31. Dezember 2018. Und die Regierung wird sich auch daran halten. Eine Regierung, die dieses Prinzip bricht, verliert ihre Glaubwürdigkeit. Das sollte auch für die Gewerkschaft gelten. Man kann nicht im Dezember ein Abkommen unterschreiben und ein paar Monate später neue Forderungen stellen. Das ist nicht glaubwürdig und führt zu einem Vertrauensverlust beim Vertragspartner. Dessen muss sich die CGFP bewusst sein. Das Gehälterabkommen schlägt übrigens mit 50 bis 60 Millionen Euro pro Jahr zu Buche: Die Abschaffung der 80-80-90-Regelung würde den Haushalt mit 40 bis 50 Millionen Euro belasten. 

Luxemburger Wort: Die CGFP moniert in dem Zusammenhang, dass das Praktikum im Gegensatz zu den Abmachungen nicht reformiert worden sei ... 

Dan Kersch:... Das stimmt nicht. Das neue INAP-Gesetz hält explizit fest, dass bei der Weiterbildung zwischen 90 und 110 Stunden hinzukommen und dass sie während der Arbeitszeit erfolgen muss. Das gilt für alle Laufbahnen. Sollten einige Verwaltungen sich nicht daran halten und ihre verwaltungsspezifischen Kurse in die Mittagszeit verlegt haben, so wie die CGFP dies behauptet, müsste natürlich Remedur geschaffen werden. 

Luxemburger Wort: Das Staatsexamen steht ebenfalls in der Kritik. Was wollen Sie ändern? 

Dan Kersch: Ich habe schon vor einiger Zeit auf die Problematik hingewiesen. 
Die Durchfallquote ist in der Tat sehr hoch. Wir suchen derzeit gemeinsam mit der CGFP nach Lösungen. Seit 2015 besteht das Staatsexamen aus zwei Teilen, ein Teil, das so genannte Eintrittsticket, ist allgemeiner Natur, der zweite Bereich bezieht sich spezifisch auf die Bedürfnisse der jeweiligen Verwaltung. Bislang wurde die erste Prüfung nur zweimal im Jahr abgehalten. Wir wollen möglichst schnell dazu übergehen, dass die Kandidaten sich der Prüfung stellen können, wann immer sie wollen. Und sie erfahren sofort, ob sie bestanden haben oder nicht. Das beschleunigt das Verfahren und ist sowohl für die Kandidaten als auch für die Verwaltungen von Vorteil. 

Luxemburger Wort: Damit haben Sie aber noch nichts am Inhalt geändert, der immer wieder als veraltet kritisiert wird. 

Dan Kersch: Die Fragen sind in der Tat nicht mehr ganz zeitgemäß. Der Inhalt muss überarbeitet und an die heutigen Anforderungen angepasst werden. 

Luxemburger Wort: Ist die hohe Durchfallquote beim Staatsexamen, einer der Gründe, weshalb der Staat sich zur Zeit mit der Rekrutierung von neuem Personal so schwer tut? 

Dan Kersch: Zum Teil. Bei der Rekrutierung gilt es, zu unterscheiden. In einigen Bereichen gibt es überhaupt keine Probleme, neue Mitarbeiter zu finden. Es gibt aber auch Sparten, in denen wir kaum noch geeignete Kandidaten finden, etwa im Bildungsbereich. Es wird auch immer schwieriger, genügend Ingenieure und Informatiker zu finden. Hier agiert der Staat in direkter Konkurrenz zur Privatwirtschaft, die in dem Bereich über andere Möglichkeiten verfügt. 

Luxemburger Wort: Sie haben eine weitere Öffnung des öffentlichen Dienstes für Nicht-Luxemburger in Aussicht gestellt. Könnte dies die Engpässe überbrücken? 

Dan Kersch: Ich glaube schon. Seit 2009 hat der Staat die Möglichkeit, EU-Bürger zu rekrutieren. Das hat uns sehr geholfen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Für den dringend notwendigen Ausbau des Centre des technologies de l'information de l'Etat gab es nicht genügend Informatiker. Hätten wir die Karriere nicht für Ausländer geöffnet, hätten wir den Ausbau nicht hinbekommen. 
Ähnlich sieht es auch im Rettungswesen aus. Wir brauchen auch nicht-luxemburgische Sanitäter und Spezialisten, um einen qualitativ hochwertigen Rettungsdienst aufrechtzuerhalten. In einigen Bereichen haben wir einfach keine andere Wahl mehr. Wenn das neue Gefängnis in Sassenheim den Betrieb aufnimmt, brauchen wir etwa 300 zusätzliche Wärter. So viele Luxemburger werden wir nirgends finden. Nicht-Luxemburger, die für den Staat arbeiten wollen, müssen natürlich die drei Landessprachen beherrschen. Das ist Voraussetzung. Zur Zeit haben ungefähr sechs bis sieben Prozent der Staatsbediensteten nicht die luxemburgische  Staatsangehörigkeit. Die Hoheitsbereiche wie etwa die Polizei oder die Justiz bleiben natürlich von der Öffnung ausgeschlossen. 

Luxemburger Wort: Die CGFP reagierte recht ablehnend auf Ihren Vorschlag ... 

Dan Kersch:...ich wiederhole es noch einmal: In einigen Bereichen haben wir keine andere Wahl.Die Alternative wäre die Privatisierung. 
Das ist für mich keine Option, das will ich nicht. Ich bin ein ferventer Anhänger des öffentlichen Dienstes. Und wenn ich einen guten öffentlichen Dienst haben will, dann muss ich mir auch Gedanken machen, wo ich die Mitarbeiter herbekomme. Es reicht nicht, alles zu kritisieren. Man muss auch Alternativen präsentieren. Ich bin für alle Vorschläge offen. 

Luxemburger Wort: Seit Jahren kündigt Finanzminister Gramegna in seiner Haushaltsrede neue Stellen beim Staat an. Wie viele Stellen konnten in den letzten Jahren überhaupt besetzt werden? 

Dan Kersch: Für die Jahre 2014 bis 2016 waren 1 450 neue Stellen angekündigt worden, 1 291 Posten konnten besetzt werden. Wir haben unser Ziel also fast erreicht. Für 2017 liegen die definitiven Zahlen noch nicht vor. Ich gehe aber davon aus, dass wir das Objektiv nicht erfüllen werden und auch 2018 dürfte es problematisch werden. Diesbezüglich muss ich noch anmerken, dass wir erst seit diesem Jahr in Bezug auf die Besetzung der Stellen über verlässliche Statistiken verfügen. Vorher wussten wir also gar nicht, ob die Stellen besetzt wurden oder nicht. 

Luxemburger Wort: Einerseits droht die CGFP mit gewerkschaftlichen Aktionen. Andererseits hat eine Studie ergeben, dass die Staatsbeamten recht zufrieden sind. Wie erklären Sie sich dies? 

Dan Kersch: Über Umfragen kann man selbstverständlich streiten. Ich bin aber der Meinung, dass eine Umfrage, an der 26 Prozent der Staatsbediensteten teilgenommen haben, aussagekräftig ist. Wenn die Studie zeigt, dass 85 Prozent der Teilnehmer zufrieden sind, dann freut mich das. Ich gebe mich aber nicht damit zufrieden, weil 30 Prozent der Befragten aussagen, dass ihre Motivation nachlässt. Finanzielle Überlegungen spielen dabei kaum eine Rolle. Wir müssen dies ernst nehmen. Natürlich ist die Regierung gefordert, doch auch die Gewerkschaft muss sich Gedanken machen. Denn die Aussagen geben einen klaren Hinweis darauf, wo wir den Hebel ansetzen müssen. Diese Punkte müssten also auch in den Forderungskatalog der CGFP einfließen. 

Luxemburger Wort: Apropos Motivation, wie steht es um die geplanten Arbeitszeitkonten? 

Dan Kersch: Der Gesetzentwurf liegt vor, das Dossier kommt gut voran. Ich hoffe, dass der Staatsrat sein Gutachten möglichst zügig vorlegt, damit das Parlament den Entwurf schnell verabschieden kann. Für mich stellen die Arbeitszeitkonten einen Meilenstein in der Sozialgesetzgebung dar. Es freut mich, dass durch den Vorstoß im öffentlichen Dienst nun auch wieder Bewegung in die Diskussion um die Arbeitszeitkonten in der Privatwirtschaft kommt. Umgekehrt gilt dies aber auch, etwa bei den Sonderurlaubstagen. Ich bin der Meinung, dass in dem Punkt in der Privatwirschaft wie im öffentlichen Dienst die gleichen Regeln gelten sollten. Ich habe nämlich ein grundlegendes Problem damit, wenn die Privatwirtschaft und der öffentliche Dienst gegeneinander ausgespielt werden. 

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